Spätestens mit der Banken-, Finanz- und Eurokrise schien der Begriff „liberal“ diskreditiert zu sein. Der Liberalismus galt als programmatische Grundlage derjenigen marktradikalen Ideen, die zuerst Hauseigentümer, dann Banken und zuletzt ganze Staaten ins Unglück gestürzt hatten. Wie schnell sich solche Zuschreibungen wieder ändern können, zeigt der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in Europa und ein Präsidentschaftswahlkampf in den USA, der alles in Frage stellte, was zuvor als Gewissheit behandelt wurde. Nun war von der „liberalen“ Demokratie die Rede, die gegen ihre Feinde verteidigt werden müsse. Bedroht scheinen nicht zuletzt Formen des angemessenen Umgangs, die als kulturelle Grundlage einer liberalen Form der Demokratie gelten und erst durch Erziehung und Bildung hervorgebracht werden.
Das liberale Programm geriet aber bereits zu dem Zeitpunkt in eine Krise, zu dem das „demokratische Zeitalter“ (Jan-Werner Müller) anbrach und immer weitere Bevölkerungsgruppen eine realistische Chance erhielten, Teil des politischen Gemeinwesens zu werden. Die Veranstaltung widmet sich der Frage, wie im Liberalismus Bildung, Erziehung und öffentliches Unterrichtswesen verhandelt wurden und werden. Im Zentrum stehen sowohl ideengeschichtliche Perspektiven auf die liberale Klassik und die Versuche der Neuformulierung des liberalen Programms im 20. Jahrhundert als auch zeitgenössische Debatten.
Die Tagung wird von Michael Geiss und Roland Reichenbach organisiert.
Programm:
- Kirsten Meyer (Humboldt-Universität zu Berlin): «Bildung, Autonomie und staatliche Neutralität»
- Johannes Drerup (Universität Koblenz-Landau): «Nothing is true – Everything is possible. Demokratische Erziehung, Verschwörungstheorien und die Krisen des Liberalismus»
- Frauke Höntzsch (Universität Augsburg): «Bildung durch Freiheit – Freiheit durch Bildung? Chancen und Grenzen der Millschen Konzeption»
- Michael Geiss (Universität Zürich): «Die liberale Pädagogik und ihre liberalen Kritiker»
- Christian Grabau (Universität Tübingen): «Solidarität nach dem Liberalismus. Bildungstheoretische Lektüren im Anschluss an Richard Rorty»
- Rita Casale (Universität Wuppertal): «Die liberale Verteidigung: Bildung als Bürgerrecht»
- Christoph Henning (Universität Erfurt): «Bildung und Politik aus der Sicht des liberalen Perfektionismus»
- Hedwig Richter (Hamburger Institut für Sozialforschung): «Ein Wahlrecht auch für Analphabeten? Bildung und Partizipation in Frankreich, Deutschland und den USA im 19. Jahrhundert»
- Angela Marciniak (Universität Frankfurt am Main): «‹Knowledge (...) is in part at least a branch of power›. Zum komplexen Verhältnis von Wissen und Macht bei Jeremy Bentham»
- Roland Reichenbach (Universität Zürich): «Politische Bildung im ‹Reich des kleineren Übels›»
- Claire Moulin-Doos (Universität Kassel): «Politische Erziehung zu liberalen Werten?»
Kontakt
Anmeldungen an Nadine Burri (n.burri@ife.uzh.ch) oder an Michael Geiss (mgeiss@ife.uzh.ch)